Einem mehrsprachig aufwachsenden Sohn zuzuhören ist wundervoll. Man kann Wortschätze heben, auf die man selber nie gekommen wäre, deswegen lohnt es sich genauer hin zu hören. Anfangs macht man das um zu verbessern, korrigiert und ist immer mal wieder der Verzweiflung nahe, weil alles für die Katz zu sein scheint. Erst spät entwickelt man die Faszination für den natürlichen, der Sprache innewohnenden Kraft zur Sprengung ihrer eigenen Grenzen, mittels Erweiterung und Erneuerung ihrer Möglichkeiten.
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Anfangs herrscht eher Schweigen, und das Kind glänzt zunächst mit seinen eigenen Bezeichnungen für Alltägliches und faszinierende Gegenstände, von denen sich einige bis heute in unserer gemeinsamen Sprache halten – nein, davon wird nichts verraten. Das ist familienspezifisch. Da unterscheidet sich ein mehrsprachig aufwachsendes Kind vermutlich nicht einmal sonderlich von anderen Kindern. Der Unterschied kommt später. Es kann nicht einfach sein zwischen grundverschiedenen, wandelnden Wörterbüchern eingeklemmt aufzuwachsen, die kein richtiges Miteinander erlauben, egal wie sehr sich ein kreatives Hirn auch dagegen stemmt. So entstehen später verschachtelte Hybridsätze, die nur unter Mühe zu entschlüsseln sind. Spaß machen sie immer, diese Kreuzworträtsel. Meist sind das Sätze, die grammatikalisch eher einer Sprache zuzuordnen sind, über die aber großzügig Silben der anderen gestreut wurden. Oder es werden Worte der einen Sprache in der anderen dekliniert, gebeugt und gebrochen. Die Sprachaneignung ist voller Fehler, und alles kommt wunderbar durcheinander.
Später dann kommt es zu ureigenen Wortschöpfungen, die ihresgleichen suchen. Das Erste, an das ich mich erinnere ist platschig, als Beschreibung sowohl der Konsistenz als auch des Gefühls draußen nach einem Regenschauer in Pfützen und mit feuchtem Matsch zu spielen. Synästhesie einmal anders, es werden mehr Sinne in einem Wort vereint, als man für möglich gehalten hätte.
Heute glänzte er mit dem Wort Scheiterkeit. Bewusst hat er es nicht verwendet, sondern wie so oft spontan hergestellt, es hatte den richtigen „Klang“, und fertig. Wie schön, dass es jetzt eine Verbindung des Scheiterns und der Heiterkeit gibt, gerade in einer so furchtbar ernsten, präzisen Sprache wie Deutsch. Beides ist so wichtig für die persönliche wie gesellschaftliche Entwicklung, und bei beidem bleibt meist die Freude auf der Strecke. Dabei kann man nur bei allem und jedem zu mehr Scheiterkeit raten :)
Scheiterkeit, die / Substantiv, feminin, Einzahl – Beschreibt eine zu gleichen Teilen von Fröhlichkeit und Neugier geprägten Herangehensweise an alle Lebensaufgaben, ohne Angst vor dem Ergebnis zu haben.
Bonustrack:
Lisa: „I’m sure there’s a German word for it.“
Jetzt erst gesehen – wundervolle Sprachreflexion!
Mit Scheiterkeit verbinde ich neben der von Dir definierten Bedeutung noch die Heiterkeit nach dem Scheitern, eine weniger dunkle Form des Galgenhumors.
„Heiterkeit nach dem Scheitern“ gefällt mir gut, ein fröhliches „das kann passieren“, „macht nichts“ und „auf ein Neues“ – Danke dir :)