Pillow Talking Bad

Zwar sind es noch vier Folgen bis zum Ende von BREAKING BAD, und unabhängig davon wie dieses inhaltlich* ausfallen wird, ist die Serie für mich ein Meilenstein in der Art und Weise, wie man seriell erzählen kann. Daher möche ich in diesem Blog-Eintrag heraus stellen, was mich an BREAKING BAD in den vergangenen Jahren so begeistert hat. Und hierfür möchte ich im Voraus dem Schöpfer und Showrunner Vince Gilligan stellvertretend für das ganze Team meinen Dank aussprechen:

Vince Gilligan
Danke für sechs spannende Jahre Vince!

Natürlich hat er auch vorher schon tolle Folgen der X-FILES geschrieben, und man wird nicht darum herum kommen, ein Auge auf seine kommenden Projekte zu haben, und dafür wünsche ich ihm ein gutes Händchen, viele Ideen und zuverlässige Partner, nur wird auf lange Sicht wohl diese Serie immer als Erstes mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden.

Was unterscheidet aber nun BREAKING BAD so maßgeblich von anderen Serien? Fünf Aspekte möchte ich hier heraus greifen:

1) Eine Hauptfigur, die ihren Charakter maßgeblich verändert.
2) Weniger, dafür längere, und intensivere Szenen pro Folge, als in anderen Serien.
3) Wenige Figuren, die man um so besser kennen lernt.
4) Unvorhersehbare, aber immer aus den Figuren heraus motivierte Wendungen.
5) Mehr Raum und Luft für Pausen im Drama. Man denke an regelmäßige Musikmontagen oder Momente, in denen man den Figuren förmlich beim Denken zusieht (und keine Gedanken aus dem Off hört).

Über den ersten Punkt ist hinreichend geschrieben worden, die Verwandlung von “Mr. Chips” in “Scarface” – ein Satz den Gilligan zu wiederholen nicht müde wird, und der Teil des ursprünglichen Pitches an SONY/AMC war.

Sehr aufschlussreich sind diese 3 Tipps die er Drehbuchautoren an die Hand gibt: Die Figuren im Verlauf der Serie immer besser kennen zu lernen, es sich zur Aufgabe zu machen zu überraschen, sowie “curveballs” anzunehmen. Vieles davon wird deutlicher, wenn man sich die Mühe (und Spaß) macht, den fantastischen Breaking Bad Insider Podcast der Cutterin Kelley Dixon anzuhören, hier der Link zu iTunes.

So wäre Hank zum Beispiel nicht zu einer mehrschichtigen Figur geworden, hätte nicht Dean Norris als Schauspieler so viele Möglichkeiten mitgebracht, und so die Autoren inspiriert mehr aus ihm zu machen. Dafür offen sein zu können, weil noch nicht alles geschrieben steht, sondern die Serienschöpfung hier ein dynamischer Prozess ist – das sucht seinesgleichen. Diese Offenheit, sowohl vom Autorenteam, als auch von AMC und SONY Television, ist für viele der Highlights dieser Serie verantwortlich – und für einiger der Dinge, die Kritiker der Serie vorwerfen. Logikfehler zum Beispiel. Oder sich wiederholende Momente und Situationen. Manches war tatsächlich improvisiert, ob z.B. durch den Autorenstreik (ganz zu Anfang während der ersten Staffel) ausgelöst, oder der Ausfall des Darstellers des Bösewichts Tuco, der zum ungleich überraschenderen Gustavo Fring führte. Die Autoren haben sich diese “Schicksalsschläge” aber selbst zum Prinzip gemacht. Aus dem Podcast erfährt man z.B. davon, dass aktuell in der 5. Staffel das M60 Maschinengewehr im Kofferraum landete, ohne dass die Autoren in dem Moment schon gewusst hätten, wo oder wie es zum Einsatz kommen wird. Ebenso das Rizin, welches Walter in einem weiteren Flash-Forward aus dem Versteck hinter der Steckdose hervor holt, hatte noch keine Bestimmung, kein Ziel, als es die Autoren ins Buch von 509 schrieben. Ein wunderbares Beispiel ist der Campingwagen, in dem Jesse und Walt auf dem Schrottplatz gefangen waren, während Hank davor stand. In diese Situation hatten sich die Autoren geschrieben, und hatten lange keine Lösung dafür. Das ist mehr als mutig, und bei BREAKING BAD hat dieser „Wahnsinn“ eben Methode. So sind die Autoren gezwungen auch sich selbst immer wieder auf’s Neue zu überraschen. Wie soll da Langeweile aufkommen? Genau das ist das Geheimnis.

Denn gemessen an anderen Serien hat BREAKING BAD ein geringes Budget, aus dem das Team das Maximum heraus holt (als eine der letzten übrigens, die noch auf 35mm drehen) – und was mit verantwortlich ist für eben jene längeren, intensiveren Szenen – mehr konnten sie sich schlicht nicht leisten, und mussten sog. bottle episodes machen, also eben Kammerspiele mit möglichst wenigen Drehorten und Darstellern (z.B. die Folge mit dem Wohnmobil in der Wüste oder die Fliege im Superlab – beides ganz hervorragende Folgen). Der erste Augenöffner in meiner Erinnerung ist da die fantastische “talking pillow” Szene mit der ganzen Familie, die erst einmal völlig an Walt vorbei bzw. über ihn hinweg diskutiert – bis er das Kissen hat. Kann sein, dass ich mich da irre, und es schon ähnliche Momente davor gab, aber hier hatte mich die Serie endgültig gepackt, und seitdem nicht wieder los gelassen. Viele weitere großartige Momente folgten, und ließen mich über dramaturgische Schwächen hinweg blicken. Ja, die gab es, kreuzigt mich, das macht die Serie ja nicht schlechter, ganz im Gegenteil. Schwer tat ich mich z.B. mit dem Teppichmesser. Trotzdem hat mich nie eine dieser von mir persönlich als “Schwachstelle” wahrgenommenen Momente dazu geführt mich von der Serie abzuwenden. Stets überwog der Genuß der Intensität und emotionalen Wucht zahlreicher Schlüsselszenen, der Humor und immer wieder die vielen skurrilen Einfälle. Das macht Spaß, dieses ständige Wechselbad, und ist immer mit Risiken verbunden – dazu muss man aber welche eingehen.

Genau das sollte sich mal das Deutsche Fernsehen jetzt hinter die Ohren schreiben. Übrigens gibt es auch eine Serie bei uns, die seit zwei Jahren produktionstechnisch mit ähnlichen Problemen fertig zu werden hat: DER TATORTREINIGER. Wenig Geld, Kammerspiel, wunderbarer Charakter, großartig gespielt, überraschende, skurrile Bücher.

Was es bei BREAKING BAD aber ebenfalls noch gibt, sind die Momente zum Aufatmen, wenn man in einer Musikmontage mal entspannen darf. Diese Dynamik braucht es, denn sonst hält man die Spannung anderer Szenen nicht mehr aus, und das wird um so wichtiger, je mehr Folgen man hintereinander “weg” guckt. Binge watching nennt man das, und eine andere Serie, der diese schwierige Balance für diese noch junge Rezeptionsform gelingt, ist GAME OF THRONES. Nur ist es hier genau das Gegenteil mit dem sich die Showrunner herum schlagen müssen: Eine schier kaum zu bändigende Materialfülle, ein ausuferndes Figurenensemble, Fans der Originalbücher, um nur einige der Brennpunkte zu nennen.

Wenn also der Programmchef des ZDF Norbert Himmler ein “deutsches Breaking Bad” als Mini-Serie ankündigt, ist man geneigt ihm zuzurufen: “Weniger ist mehr!”

– Weniger Kontrolle durch die Redaktion.
– Weniger Folgen, aber länger laufen lassen. (Modell BBC – 6 Folgen pro Jahr. Zu unterstreichen wäre hier aber das pro Jahr, denn alles was darüber hinaus geht ruiniert die Fanbindung.)
– Weniger durchschaubare Figuren.
– Weniger später Sendeplatz.

Und vor allem: Am wenigsten Geld kostet es, in gute Bücher zu investieren. Nicht durch ewiges daran Verschlimmbessern, sondern so wie bei Gilligan fortlaufend drehen, ohne bereits alle Details ausgearbeitet zu haben. Das braucht Vertrauen, und wenn man das nicht zu seinen Autoren hat, dann letzten Endes auch nicht zu den eigenen Zuschauern, die einen finanzieren. Vertrauen in die Zuschauer und die Macher wäre heute mehr denn je angebracht. Wenn man sie lässt, finden sie einander inzwischen selbst. Dazu gibt es ja das Internet und genug Bekloppte, die darüber schreiben: Fans.

Daher, gebt den Autoren endlich das Kissen! Dann fangen sie nämlich an zu reden. Und schreiben es im besten Falle sogar auf. Und genau das wollen wir dann sehen!

Für all jene, denen jetzt BREAKING BAD zu kurz gekommen ist, hier noch drei Bonuslinks, ein Interview zum Lesen, eins zum Hören, und eins zum Schauen.

Viel Spaß, und natürlich Spannung mit den verbliebenen vier Folgen!

– – –

* Zu inhaltlichen Spekulationen habe ich mich in den letzten beiden Jahren hinreißen lassen, und das gar nicht mal so übel, aber wer will, möge das bitte selber nachlesen. Hier 2011 und hier 2012.

Ein Gedanke zu „Pillow Talking Bad

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