Zum bevorstehenden Kinostart einiger deutscher Filme, von denen ich das Glück hatte sie bereits auf dem diesjährigen Münchner Filmfest sehen zu können, hier drei Highlights, die man sich nicht entgehen lassen sollte – besprochen wie immer bereits auf moviepilot, der Filmplattform meines Vertrauens:
FINSTERWORLD (2013), Frauke Finsterwalder
„I listen to the wind, to the wind of my soul. Where I’ll end up, well, I think only God really knows.“ (Cat Stevens, The Wind, 1971)
Ein deutscher Film, der sich traut mit Cat Stevens anzufangen, muss naiv oder wahnsinnig sein. Das… kann doch nur schief gehen, oder? Tut es aber nicht. Ganz und gar nicht. Sicherer als mit Cat Stevens kann man sich doch nicht fühlen, nicht wahr? In einem deutschen Wald. Wir treiben langsam mit diesen Klängen in ihn hinein, heben mit einem Einsiedler einen verletzten Vogel auf, und versprechen ihn gut zu behandeln. Alles wird gut werden in diesem Film. Naiv und wahnsinnig ist nur der, der das glaubt, ja gerne glauben möchte. Dieser Film ist das Pendant zu einem Lebkuchenhaus, und wer nicht aufpasst, wird von der Hexe geschnappt. Nehmt einen süßen Bissen nach dem anderen, wiegt euch in Sicherheit, und wenn ihr euch satt fühlt, landet ihr in dem deutschesten Ofen, den es gibt.
Das Rezept dieses Films ist einfach – es ist eine Backmischung aus präziser, wertfreier Beobachtung und daraus entspringendem, sanften Humor, mit viel Liebe gebacken, aber mit einer vergifteten Zutat, die nicht jeder vertragen wird: schonungslose Aufrichtigkeit. Es sind aber gerade die einfachen Rezepte, die so schwer hizubekommen sind. FINSTERWORLD schafft nicht mehr und nicht weniger, als einem zutiefst deutschen schwarzen Humor wieder Leben einzuhauchen, wie man ihn sonst nur Österreichern zutrauen würde. Nur wird hier nichts durch deren Dialekt charmant verniedlicht – hier haut einem die Präzision unserer Sprache alles knallhart um die Ohren. Wundervoll. Wir Deutschen wollen halt gezüchtigt werden, und die Österreicher lieber ihre Ruhe haben ;) David Schalko wird im Abspann gedankt, und es gibt noch eine Art szenischer Verbindung zu dessen Serie BRAUNSCHLAG, nur sehen wir hier nie eine Kopie, sondern spüren die Nachbarschaft, Verwandtschaft zweier Seelen – dies ist aber eindeutig die Deutsche, und sie wird seziert.
Verraten mag ich nichts über den Film, er beinhaltet eigene Interpretationen vom CLUB DER TOTEN DICHTER und HAROLD AND MAUDE ebenso, wie essayistisch anmutende Einsprengsel, und ist von all dem ein fantastischer, frecher Remix. Auf diesen Film habe ich jahrelang gewartet, und wußte es bis gestern nicht. Vielleicht weil ich den Glauben daran, dass so ein Film aus Deutschland kommen kann, längst verloren hatte. Nein, ich konnte mir nicht mal vorstellen, wie er aussehen könnte. Jetzt kann ich es, weil ich einmal quer duch die FINSTERWORLD von Frauke Finsterwalder (und ihrem Mitautor Christian Kracht) geführt wurde. Persönlicher könnte ein Filmtitel kaum sein, und hier steckt bereits die gleiche spielerische Unbedarftheit drin, die diesen Film zu einem solchen Erlebnis macht. Frauke kommt „eigentlich“ aus dem Dokumentarfilm, und dies ist ihr Spielfilmdebüt und zugleich Abschlußfilm. Hoffentlich wird sie uns noch oft auf Reisen durch ihre Welt mit nehmen, denn ihr Blick ist präzise, neugierig, behutsam und geht auch für einen Käfer auf die Knie. Sie legt den Finger in offene Wunden, säubert sie, und gibt ihnen so die Chance zu verheilen. Kein Wunder also, dass ihr ein derart beeindruckendes Schauspielerensemble zu Füßen lag, und spielt, spielt, spielt. Mehr Ensemble- als Episodenfilm, denn was lange nebenher läuft wird behutsam zu einem Ganzen zusammen geführt. Seit ABSOLUTE GIGANTEN hat sich meine Seele in keinem deutschen Film mehr so Zuhause gefühlt. Hier der Trailer.
„I swam upon the devil’s lake, but never, never, never, never I’ll never make the same mistake, no, never, never, never.“
ELTERN (2013), Robert Thalheim
Endlich. Es geht also doch. Es gibt sie doch, die Filme aus Deutschland, die einfach alles richtig machen. ELTERN von Robert Thalheim gehört definitiv dazu. Vermutlich werde ich meine Bewertung noch nach oben korrigieren, aber noch stehe ich unter Schock, dass ein Film etwas mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit hinbekommen hat, woran sich ZEIT DER HELDEN auf arte noch bemüht die Zähne ausgebissen hat. Als Spielfilm, in einem Bruchteil der Zeit, knallhart, und doch immer mit Humor. So präzise beobachtet, dass ich mich stellenweise selbst reden gehört habe, oder Sätze, die mir so oder ähnlich schon an den Kopf geschleudert wurden. Ein Film, der die Achterbahnfahrt des Eltern-Seins heute einfängt, mit allem, was dazu gehört, dem neuen Rollenverständnis von Vätern und dem Karriere-Versprechen für Mütter. Das klingt alles so Scheiße, wenn man es zu beschreiben versucht! Versteht ihr, weshalb ich daher ein Drehbuch abfeiern muss, das es hinbekommt dieses Thema perfekt ausbalanciert, unterhaltsam und wahrhaftig zu erzählen? Sogar den Schnitt muss ich hier loben – wann mache ich das schon?
Charly Hübner und Christiane Paul sind darüber hinaus ein Traumpaar auf der Leinwand, und ich dachte schon, ich hätte meine Schwärmerei seit DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE überwunden… *seufz* Die Kinderdarsteller sind brillant, und besonders Paraschiva Dragus gehört augenblicklich (auch schon wegen des Namens) für GAME OF THRONES verpflichtet – das entsprechende Schwert hat sie hier schon in der Hand. Was für ein Ausnahmetalent.
Fazit: Geht ins Kino.
Was sie noch nie über das Kinderkriegen wissen wollten, aber gefälligst erfahren sollten.
Danke für diesen Film.
We are family.
IM WENDEKREIS DER EIDECHSE (2013), Helge Schneider
Ich Unwürdiger war gerade auf der Premiere, und der Meister war da, seine Produzenten, Rocko, Tyree und sein Kameramann Voxi. Gedreht auf 16mm !!!! mit viel neuer Musik, und SPOILER sogar ein Wiedersehen mit dem Pflastermann. BROILER ENTE, halber Hahn. Wer nix mit Helge anfangen kann, wird auch diesem Film nicht mehr als ein Kopfschütteln abgewinnen können, ansonsten ist Material für jeden Fan dabei, von flach bis phantastisch, oder umgekehrt. Mir bescherte Rocko mit seiner Zahnprothese großes Vergnügen, der Staubsaugervertreter aus dem Hunsrück ebenso wie sein Sohn, die Abkürzung mit der Waschmaschine, und viele andere unnachamliche Miniaturen mehr. Und Helge in einem Outfit à la Edna aus den UNGLAUBLICHEN zu sehen, war schlicht das Sahnehäubchen. Oder doch als Zahnarzt? Auch wenn man lieb gewonnene Gesichter vermisst, der Film ist ein Vergnügen und der Chef hat direkt mal angekündigt noch einen 00Schneider drehen zu wollen – Va bene, Mandarine!
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Wer noch nicht genug hat kann hier weiter stöbern, oder auf die nächste Auswahl auf dem Blog warten.
Habe die Woche noch einen ziemlichen Verriss von „Finsterworld“ im neuen Cargo-Heft gelesen. Jetzt bin ich umso gespannter darauf zu beurteilen, wer von „euch“ den Film nicht verstanden hat..haha…
Bei Helge hatte ich sogar das Glück, ein paar Stunden bei den Dreharbeiten zuschauen zu dürfen: http://www.coolibri.de/redaktion/kultur/1212/dreharbeiten-zum-helge-schneider-film-auf-dem-weg-zum-friseur.html
Lieber Kollege, Film „verstehen“ ist sooo von gestern :) FINSTERWORLD kann man fühlen! Entweder man kennt dieses „Deutsche Unbehagen“, weil man damit aufgewachsen ist, oder man hat es auch nicht in der Welt um sich herum wahrgenommen. Ich kenne jetzt die CARGO-Kritik nicht (sonst würde ich darauf eingehen), und vielleicht werden darin jene Aspekte betont, die mich inzwischen nach mehrmaligem Sehen nicht mehr so begeistern, wie beim Ersten. Das mache ich dem Film aber nicht zum Vorwurf, ganz im Gegenteil: Er spricht endlich, endlich(!!!) einmal aus, was mich hier ankotzt, und findet ein Bild dafür, das mir den Atem geraubt hat, weil es mich an ein ähnliches Bild aus meinen Alpträumen als Kind/Jugendlicher (weiß nicht mehr wie alt ich war) erinnert hat, mit der gleichen Kraft, Intensität und noch dazu im hier und heute verankert. Das hat Größe. Außerdem hat der Film eine Eleganz, die erst mit der Zeit aufgehen muss – vieles wirkt leicht, gut beobachtet… aber die „Boshaftigkeit“ erschließt sich einem erst im Nachdenken darüber. Wer sich Antworten in guter alter Gut/Böse Tradition geben mag, dem wird es auch hier gelingen, dann ist man aber blind. Ein Film aus Deutschland, der mir Hoffnung macht.
Sogar im Ausland wird er gut aufgenommen: http://www.hollywoodreporter.com/review/finsterworld-montreal-review-612680
Und auch Preise rollen rein: http://www.cologne-conference.de/de/programm/preisverleihungen/tv-spielfilm-preis/
Bin gespannt, wie du aus dem Ofen des Kinosaals kommst :)
Zu Helge nur ein Wort: Blanker Neid! (such’s dir aus)