Schreiben ist anstrengend. Manchmal. Manchmal ist es erfrischend, die Worte kommen wie von allein. Wenn man sie läßt, kommen die Worte von allein. Im Kleinen, also von Satz zu Satz schreibend, da fließen die Worte, dort zieht eine Idee die nächste nach sich. Und der Prozeß hört genauso natürlich auf, wie er begonnen hat. Mal geht einem die Puste aus, mal nicht. Mal läßt der nächste Satz zu lange auf sich warten, und man kommt an einen Punkt, wo es nicht weiter geht, mal nicht. Aber immer ist Schreiben der Mühe wert. Daher sollte man…
Immer was zum Schreiben dabei haben
Man sollte sich nie dazu zwingen weiter zu schreiben, wenn es nicht „von alleine“ geht. Besser ist es, viele Dinge gleichzeitig zu schreiben, immer und überall. Wenn man auf andere Texte ausweichen kann, ist man nicht nur glücklich, man bleibt es auch. Natürlich wäre es hilfreich, wenn man später in dem anderen Text den Anschluß findet, sich dort inzwischen die nächste Idee eingefunden hat. Wenn nicht, weicht man auf den nächsten Text aus und so weiter und so fort. Oder man beginnt einen neuen, schreibt ein Tagebuch, einen Blog. Hauptsache regelmäßig.
“Texte im Detail” zu entwickeln liegt mir. Schwieriger fällt es mir, das Große und Ganze im Blick zu haben. In mir sträubt es sich immer, wenn ich mir des Textes bewußt werden muß, wenn sich die Geschichte selbst ihrer eigenen Existenz bewußt werden soll, sie sich plötzlich an Regeln und Plot-Points halten muß. Plötzlich stellt man Schilder auf um den Verkehr der Ideen zu regulieren, damit es keine Unfälle gibt. Dabei sind es manchmal gerade die Unfälle, die unvorhersehbaren Begegnungen zweier entgegengesetzter Ideen spannend macht, weil man sie nicht hat kommen sehen, weil sie ungebremst aufeinander prallen. So entdeckt man neue “Elementarteilchen”, vielleicht überlebt keine der beteiligten Ideen, oder nur eine, mit Narben, Wunden und einem Trauma.
Ja, Geschichten brauchen auch eine Struktur. Aber wer sie als Autor zu früh in dieses Korsett zwängt, bringt sie um, schnürt ihnen die Luft zum Atmen ab, hat sie nicht verdient. Struktur findet man später, man streicht überflüssigen Text, wenn man ihn mit Abstand zum Entstehungsprozeß “neutral” bewertet, ihm zufällig wieder begegnen lernt. Oft bin ich überrascht von Dingen, die ich vor langer Zeit aufgeschrieben, oder nur auf einen Zettel geschmiert habe. Manches verstehe ich nicht mehr, anderes ist inzwischen banal, unleserlich und überhaupt nicht mehr dechiffrierbar einige Wenige. Mit Abstand kann man es einordnen, neu zusammensetzen, bewerten. Freunde, Lektoren, Menschen, auf deren Meinung man etwas gibt, die einem sagen was sie denken, helfen einem da, wo man selbst blind ist. Aber spüren muß man es auch dann noch selber, egal wie gut die Ratschläge auch sein mögen.
Es hat nicht viel gefehlt, und die Universität hätte meine Kreativität, das Vermögen Schreiben zu können gänzlich zum Erliegen gebracht. Fließende Texte zu schreiben ist das Erste, was man lernen sollte. Das kann einem keiner beibringen, derlei muss man selbst entdecken und in sich finden. Gedanken aneinander zu fügen, Wort an Wort, Satz an Satz. Wie bei LEGO-Steinen. Man fängt zu bauen an, ohne schon zu wissen, was es mal werden wird. Im nächsten Schritt verbessert man seine Sprache. Identifiziert den fehlerhaften Gebrauch von Wörtern, benutzt Synonyme, die etwas besser ausdrücken, was man meint, die dem Lesefluß nicht im Wege stehen, dem Rhythmus huldigen oder einfach nur besser ins Gesamtbild passen. Zum Beispiel habe ich eben das Wort “Lesefluß” benutzt. Dann “Wege”. Man spricht zwar auch von Flußwegen, aber schöner wäre es vielleicht, wenn man in dem “wässrigen” Teil des Satzes verweilen würde. So wie ein Satz einen Nebensatz hat, kann ein Fluß einen Nebenfluß haben. Was steht dem Wasser des Flußes im Wege, läßt ihn nicht so fließen, wie es seiner Natur entspricht? Eine Insel? Ein Fels? Eine Boje? Besser etwas natürliches oder von Menschenhand gemachtes? “Ausdruck” schrieben die Deutschlehrer früher einmal daneben. Wenig hilfreich. Um so schöner ist der Satz. Denn wer “daneben” schreibt, “beschreibt” gar nicht mehr das, was er “bezeichnen” wollte. Aber zurück ins Wasser. Man schreibt, die Worte fließen von ihrer Quelle, werden von Seite zu Seite ein mächtigerer Strom, der am Ende zu einem Gewässer anschwellen kann, das Mächtige hinweg spült. Gewässer? Flutwelle. Flutwelle wäre besser. Aber gehört eine Flutwelle noch in einen Fluß? Aber fließen Flüße nicht ins Meer? Ja, so macht es Spaß. Eben dies ist der zweite Schritt. Man verfeinert, schleift… und schweift ab. Das ist kein roter Faden mehr, dafür vielleicht ein blauer, grüner, gelber. Aber zurück ins Wasser. In den Fluß. Was ist der Lesefluß? Ein Boot, in dem der Leser sitzt? Dann kann es eine Welle sein, die ins Boot schwappt, der Fluß kann Hochwasser führen, überflutet die Auen, läßt sie fruchtbarer zurück, als er sie vorgefunden hat. Künstliche Wasserregulierung von Ingenieuren gemacht, mit Strukturen aus Beton tötet jedes natürliche Gewässer, das Leben darin, so wie die Professoren und Dozenten meine Ideen zu ertränken und regulieren gedachten – möglicherweise unbeabsichtigt. Aber wie soll das bitte gehen? ‚Alle schreiben etwas zum gleichen Thema, bis nächsten Dienstag. Nicht mehr als eine Seite. Mindestens einen Absatz.‘ – Wie langweilig.
Die überfluteten Auen sind es, wo neue Ideen entstehen, an denen man weiterschreibt, während der Fluß an anderer Stelle versiegt ist. Schönes Bild.
Der dritte Schritt ist, sich auf das nötigste zu beschränken. Wenn man mehrfach das Gleiche geschrieben hat, nimmt man nur die beste Variante. Weniger ist mehr. Wenn der Fluß dann nicht mehr stimmt, muß man begreifen lernen, wo man ihm unwissentlich Schaden zugefügt hat. Man muß begreifen, dass die Geschichte, der Text ein eigenes Bewußtsein haben, dass der Text aufhört uns selbst zu gehören, dass wir nur sein Geburtshelfer sind. Genauso wie ich es beim Schnitt von Filmen immer wieder erlebe. Wer spricht da bitte noch von Urheberrecht? Als hätte die Hebamme ein Recht auf das Kind, weil sie es zur Welt bringen hilft. Weder Hebamme, noch Mutter oder Vater haben ein Recht über dem des Kindes. Sobald es volljährig ist, haben wir es in die Welt ziehen zu lassen, wenn es Bewußtsein über sich selbst erlangt, kann es selbst entscheiden. Wieder ein Gedanke, ein Bild mit großer Kraft. Hiermit lasse ich es in die Welt hinaus. Bei diesem dritten Schritt braucht man manchmal die Hilfe von anderen, von “Lektoren”, “Mentoren”, engen Freunden. Denn die Kinder können rotzfreche Bengel, und liebliche Engel sein. Selten sogar beides gleichzeitig. Die Welt braucht eben beides. Und noch viel mehr.
Daher mein Rat, wenn ihr es nicht sowieso tut: schreibt regelmäßig. Einer für alle, alle für einen. Stift und Papier sind stets mit zu führen, brauchen keine Batterien (nur „Strom“), sondern eine Erleuchtung. Manchem muß hingegen schon das „Licht zum Schreiben“ genügen. Jedes Wort übt. Dafür „laden“ diese Notizen uns neu auf, erfüllen und inspirieren uns.
Also nur Mut – es kann nicht schaden zu lesen, was man gerade denkt.
Das ist wie diskutieren ohne Widerspruch, aber mit einen selbst überraschenden Einsichten.