Es ist an Zeit mich eingehender mit der von mir vielleicht meistgehassten Frage zu beschäftigen: Wo ich her komme. Ich mochte diese Frage in Deutschland schon nicht, auch nicht in ihren Abwandlungen wie:
– Sie sind aber nicht von hier?
– Du hast so einen süddeutschen Akzent?
– Bei uns sagt man dazu Berliner / Krapfen / Pfannkuchen.
Als ich nach Polen zog, hoffte ich darauf mich dieser Fragerei zu entziehen, und endlich eine einfache Antwort auf die Frage „Woher ich komme“ parat zu haben: Aus Deutschland. Pustekuchen. Die Polen fragen nach, wie die Deutschen. Woher aus Deutschland, wollen Sie wissen. Und damit stehe ich wieder vor dem gleichen Dilemma, nur dass es hier schlimmer ist. Warum? Weil in Deutschland das Erwähnen von Städtenamen, Ländern oder Regionen meist ausreicht, um die Frageflut ab jener Stelle abebben zu lassen.
Nicht so in Polen. Was erwarten Sie denn als Antwort? Das man Berlin sagt? München oder Dresden? (Ja, im Gegensatz zu manchen Westdeutschen sind Polen sehr wohl in der Lage die sächsische Landeshauptstadt geographisch korrekt zu zuordnen) Aber was tun, wenn der Geburtsort so klein ist, dass er schon außerhalb des zugehörigen Landkreises unbekannt ist, nie Berühmtheiten beherbergt oder wenigstens eine kulinarische Spezialität hervor gebracht hat? Was fangen die Frager denn mit so einer Antwort an:
– Ich komme aus Dorf.
– Ja, aber wie heißt es?
– Na Dorf.
– ?
– Das Dorf heißt Dorf.
Ja, ich kenne eine Ortschaft, die tatsächlich „Dorf“ heißt. Liegt unweit einer Lokalität namens „Kramer Sepp“ und fast in Nachbarschaft von „Rammelsbach“. Wem ist denn mit so einer Antwort geholfen? Kommt man so in ein befriedigendes Gespräch, oder ab welchem Punkt wird das Gegenüber denken, man habe nicht mehr alle Tassen im Schrank und gehöre eigentlich in eine geschlossene Ortschaft Anstalt?
In vielen Fällen begreifen sie die Dämlichkeit ihrer Frage just in diesem Moment, und man steht gemeinsam pikiert in der Gegend herum, krampfhaft nach einem neuen Gesprächsthema suchend. Um dem zuvor zu kommen, bin ich dazu übergegangen gleich eine Anekdote daraus zu machen, die den Druck aus der Frage nimmt. Die geht in etwa so: Ich bin in Westdeutschland, nahe der französischen Grenze geboren, dann in München aufgewachsen, allerdings in einem Stadtteil, in dem aus mir unerfindlichen Gründen damals niemand Bayerisch sprach, und dann von dort nach Niederbayern gezogen, wo es weder Kinos noch U-Bahnen gab, dafür aber reichlich fußballbesessene Gleichaltrige. Da ich weder den Dialekt sprach, noch Fan von Bayern München war, blieb ich von diesem Moment an ein Fremder im eigenen Land. Nach dem Abitur studierte ich in Norddeutschland, denen ich das Wort „Chemie“ falsch – weil zu „hart“, also: Kemi – aussprach, und daher als Süddeutscher abgestempelt wurde. Und in Berlin war ich dann korrekt als aus dem Westen identifiziert. Kurz: Zuhause war ich nie in Deutschland, drum fiel es mir bei Gelegenheit nicht schwer der Liebe wegen nach Polen zu ziehen. Ab da lächeln meine Gesprächspartner, und man ist bei den Frauen bzw. der Liebe angekommen – nicht unbedingt ein einfacheres Thema, aber eins bei dem die Meisten besser mitreden können, als bei Stadt, Land Fluß.
Was finden wir also an dieser überflüssigen Smalltalkfrage so faszinierend, dass wir sie immer wieder gerne stellen? Es mag daran liegen, dass viele Menschen kaum herum kommen, und ihre ersten Lebensjahre am selben Ort verbracht haben, also gar nicht auf den Gedanken kommen, dass es auch anders sein könnte. Wichtiger als der Ort wo wir Kind waren, sind doch jene, an denen wir uns das erste Mal verliebt haben, unsere Herzen gebrochen wurden, Freundschaften geschlossen und aufgelöst wurden, wir unsere Lieblingsmusik, Bücher und Filme entdeckt haben. Also wo wir damit begannen, wir selbst zu sein, uns von unseren Eltern zu lösen. Heimat also. Die wie Bloch es so treffend ausdrückte, jeder mit seiner Kindheit assoziiert, aber mit dem Verstand eines Erwachsenen betrachtet, die mehr Zustand und wenn überhaupt Region, dann eine unseres Herzens ist.
Wir stellen die Frage aus Sehnsucht nach einem Gefühl von Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, die noch in uns schlummert, an die wir uns so deutlich erinnern und beinahe mit Händen greifen können, aber deren Bedeutung wir bis heute nicht begriffen haben, und uns deshalb wenigstens versichern wollen, das es anderen genauso geht.
Ein Vorschlag anstelle einer Frage wäre vielleicht:
Ganz schön irgendwie.
(Kommentare und Ideen erwünscht)