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Drei auf einen Streich (8) – Filmbesprechungen

Zum Jahresende noch mal ein Highlight, eine Enttäuschung, sowie eine Wiederentdeckung, wie man sie bereits auf moviepilot lesen konnte:

MUD (2012), Jeff Nichols

MUD (2012)

Matsch. Mehr bleibt von unserem Gehirn nicht übrig, nachdem die Liebe dort einmal eingeschlagen ist. In diesem Film folgen wir gleich mehreren solcher “Matschbirnen” in unterschiedlichen Zuständen, und im verschiedenen Alter. Im Mittelpunkt des Films steht der 14-jährige Ellis, dessen Welt gerade auseinander fällt: Erste Liebe, Scheidung der Eltern, Verlust der Heimat, kurz davor jede Orientierung in der Welt zu verlieren. Er ist kein “Townie”, sondern auf den Flüssen in Arkansas aufgewachsen – eine Wohltat, das Hinterland der USA mal nicht von mordenden, verrückten Hinterwäldlern bewohnt zu sehen! Dieser Junge wird wunderbar gespielt von Tye Sheridan, der schon in TREE OF LIFE einen der drei Brüder spielte, und hier trägt er den Film als Identifikationsfigur mühelos. Ein coming-of-age Film, aber für alle Figuren, und allein das ist schon ein Kunststück für sich.

“It’s a hell of a thing, ain’t it?”

Jeff Nichols dekliniert die Liebe in diesem Film durch, unaufdringlich und wie nebenbei, er watet durch den Matsch, den dieses Gefühl mit sich bringt, es bietet einem trügerischen Halt, mal macht man(n) sich die Hände daran schmutzig, und was einem am Ende davon bleibt, weiß doch niemand. Menschen irren sich, gerade in Liebesdingen rennen sie gerne voller Inbrunst in die falsche Richtung, tun das Falsche, und glauben doch es habe so seine Richtigkeit. “You can’t trust love,” sagt sein von Ray McKinnon brillant verkörperter Vater an einer Stelle zu seinem Sohn. Was hier an unausgesprochener Biographie und Enttäuschung hinter den Augen durchschimmert, unterstreicht die meisterhafte Inszenierung, zu der Jeff Nichols in der Lage ist, und seine Bücher haben eine lebendige Sprache, die dem locker zuarbeitet. Ein glänzend aufgelegtes Ensemble, Matthew McConaughey haut gerade eine tolle Performance nach der anderen raus, ob hier, oder zuletzt in PAPER BOY und KILLER JOE – auf sein Auftreten in der HBO Serie TRUE DETECTIVE kann man sich dem entsprechend nur freuen. Die Neuentdeckung Jacob Lofland, der den besten gleichaltrigen Freund spielt (anfangs im Fugazi-T-Shirt, yeah!) hält ebenso mit, wie die unterforderte Reese Witherspoon, und Michael Shannon sieht man in diesem Film allen ernstes lächeln!!!! Allein dafür lohnt es sich den Film zu sehen – eine ganz wunderbare Szene zwischen Onkel und Neffe, gekrönt von den nach oben gebogenen Mundwinkeln Shannons – mehr davon bitte! Und dann ist da auch noch Sam Shepard – der einen einsamen Wolf spielt, noch einer von der Liebe Enttäuschter, der… aber lassen wir das.

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Drei auf einen Streich (7) – Filmbesprechungen

Nach zwei sehr deutschlastigen Ausgaben war es mal Zeit für eine bunte Filmmischung aus in den letzten Wochen auf moviepilot erschienenen Kommentaren:

BEING THERE (1979), Hal Ashby

BEING THERE (1979)

BEING THERE von Hal Ashby ist wie die Kehrseite von Sidney Lumet’s NETWORK zu sehen: Letzterer blickt hinter die Kulissen des Fernsehens, dafür zeigt Ersterer um so präziser, was dieses Medium aus den Menschen vor den Apparaten macht. Beide Filme hintereinander zu sehen müßte einen eigentlich dazu bewegen, das Kabel aus der Wand und die Antenne vom Dach zu reißen – glücklicherweise ist das bei immer mehr Menschen längst geschehen, und so wird man in wenigen Jahren auf diese zwei Filme zurück blicken und ungläubig den Kopf schütteln. Ja, auch ich habe einen Traum…

Nun zum Film. Vielen mag er heute zu langsam erscheinen, aber nur weil wir nicht mehr die Geduld aufbringen länger irgendwo in die Bilder und Einstellungen zu schauen. Auch ein Effekt des Fernsehens. Doch, doch, ich erinnere mich an Schnitt-Jobs, bei denen mir die gleiche Sequenz abgenommen wurde, nachdem auf Bitte des Redaktuers nur häufiger zwischen den gleichen Takes völlig unmotiviert hin und her geschnitten wurde. ADHS für den Zuschauer, damit ja niemand in Versuchung kommt die Bilder, die er sieht, zu lesen und fest zu stellen, dass dort gar nichts steht. Schnitt um des Schnitts Willen, ohne Sinn und Verstand. Nicht so in diesem Film. Hal Ashby war bereits ein begnadeter Cutter (man denke allein an die legendäre Schachspielsequenz aus THE THOMAS CROWN AFFAIR, 1968), ehe er ins Regiefach wechselte, und das Timing dieses Films ist absolut perfekt. Eine Wohltat, so etwas zu sehen! Schneller geschnitten würde der Film nämlich gar nicht funktionieren. Man muss Peter Sellers beobachten können, begreifen, dass sich in diesem Kopf nichts tut, er nur wie ein verunsicherter Automat auf seine Umwelt reagiert, mit den beschränkten Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Da verlässt er nach Jahrzehnten „seinen“ Garten, tritt vor die Tür, und bleibt doch stets Gefangener seiner kleinen Welt, die Abwechslung nur durch eine Fernbedienung herstellen kann. Das eigentliche Mysterium des Films ist, was er eigentlich auf den Kanälen sucht, welches Programm, was in ihm überhaupt den Impuls zum Umschalten auslöst, oder ob dies in einem ebenso gleichmäßigen Zeitintervall stattfindet, wie der Rest seines Lebens.

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Drei auf einen Streich (6) – Filmbesprechungen

Zu meiner eigenen Überraschung schiebe ich auch in dieser Folge einen Schwung deutscher Filme nach – wie immer bereits in den letzten Wochen auf moviepilot, der Filmplattform meines Vertrauens besprochen:

DIE ANDERE HEIMAT (2013), Edgar Reitz

DIE ANDERE HEIMAT (2013)

Er hat es wieder geschafft. Der unermüdliche, unbeirrbare Chronist Edgar Reitz nimmt uns noch einmal an die Hand, führt uns durch die Zeit, zurück in den Hunsrück, nach Schabbach, aber auch zurück in der Zeit. So weit zurück in der Zeit, dass sich diesmal der Kreis schon fast wieder schließt, denn so fern ist diese Vergangenheit von unserer möglichen Zukunft nicht. Um so mehr lohnt ein genauerer Blick.

Die Freude darüber, dass sich der Dickschädel von Edgar Reitz noch einmal gegenüber der deutschen Förderhölle durchsetzen konnte, ist ihm gar nicht hoch genug anzurechnen. Und ohne einen weiteren Deutschen Dickschädel – den von Günter Rohrbach, der sich unlängst darüber ausgelassen hat, dass es heute fast unmöglich ist einen Redakteur ans Telefon zu bekommen – wäre dieses mal vielleicht gar nichts daraus geworden. Es ist ja keine Serie geworden, nicht wieder um einige Episoden kürzer, wie beim letzten Mal bei HEIMAT 3, und dem ganzen zugehörigen Hickhack um die geschnittenen Szenen der TV-Ausstrahlung. So ist dieser Kinofilm vielleicht eine Kompromisslösung gewesen, der als “Event-Zweiteiler” irgendwann nächstes Jahr in der ARD rausgehauen wird. Mir schwant auch, dass der Epilog auf das Betreiben eben jener Redaktionen zurück zu führen ist, die sich dort “etwas fröhlicheres” gewünscht haben, aber ehe ich mich jetzt in Verschwörungstheorien verliere, lasst mich lieber von dem Film erzählen:

Schon die erste Einstellung führt uns einmal ganz herum, und Gernot Roll darf endlich(!), nach all den Jahren, auch in der Vergangenheit die andere Straßenseite der Simon’schen Schmiede zeigen. Überhaupt ist dessen Kamera, gepaart mit der überwältigenden Leistung des Production Designs und der Ausstattung eine Wohltat – hier steht die Scheiße auf der Straße, Deutschland steckt fest im Dreck, und man kann sich schnell in dem Ort orientieren, fühlt sich dort Zuhause. Allein wie eine ausgewählte enge Gasse erzählt wird, die immer mal wieder von Bedeutung sein wird, sei hier als Beispiel heran gezogen. Aber dann landet schon ein Buch im Dreck, der erste Schnitt schmeißt uns ebenso wie Jakob Simon in die Geschichte des Films. Von ihm erzählen schon die anderen Kommentare zum Film genug. Großartig gespielt von dem Schauspiel-Neuling Jan Dieter Schneider, womit Edgar Reitz zum wiederholten Male beweist, was er mit seiner Schauspielführung aus Laien hervor zu kitzeln in der Lage ist. Nicht nur er, nahezu die ganze Besetzung hat man noch nie gesehen, und stand wohl auch noch nie vor einer Kamera. Das fällt höchstens bei Maximilian Scheidt, der den Schmied und Vater spielt zu Anfang noch auf, aber im Laufe der Dreharbeiten ist auch er an seiner Rolle gewachsen. Ebenso famos besetzt ist Jettchen, der love-interest von Jakob, die von Antonia Bill unwiderstehlich verkörpert wird. Einzig Marita Breuer ragt aus dem Ensemble heraus, stellt sie doch (neben dem Hunsrück) unmissverständlich die Verbindung zu den anderen Mutterfiguren in den HEIMAT Chroniken her.

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Drei auf einen Streich (5) – Filmbesprechungen

Zum bevorstehenden Kinostart einiger deutscher Filme, von denen ich das Glück hatte sie bereits auf dem diesjährigen Münchner Filmfest sehen zu können, hier drei Highlights, die man sich nicht entgehen lassen sollte – besprochen wie immer bereits auf moviepilot, der Filmplattform meines Vertrauens:

FINSTERWORLD (2013), Frauke Finsterwalder

FINSTERWORLD (2013)

„I listen to the wind, to the wind of my soul. Where I’ll end up, well, I think only God really knows.“ (Cat Stevens, The Wind, 1971)

Ein deutscher Film, der sich traut mit Cat Stevens anzufangen, muss naiv oder wahnsinnig sein. Das… kann doch nur schief gehen, oder? Tut es aber nicht. Ganz und gar nicht. Sicherer als mit Cat Stevens kann man sich doch nicht fühlen, nicht wahr? In einem deutschen Wald. Wir treiben langsam mit diesen Klängen in ihn hinein, heben mit einem Einsiedler einen verletzten Vogel auf, und versprechen ihn gut zu behandeln. Alles wird gut werden in diesem Film. Naiv und wahnsinnig ist nur der, der das glaubt, ja gerne glauben möchte. Dieser Film ist das Pendant zu einem Lebkuchenhaus, und wer nicht aufpasst, wird von der Hexe geschnappt. Nehmt einen süßen Bissen nach dem anderen, wiegt euch in Sicherheit, und wenn ihr euch satt fühlt, landet ihr in dem deutschesten Ofen, den es gibt.

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Drei auf einen Streich (4) – Filmbesprechungen

Zum viertem Mal nun eine Zusammenstellung von Kurzbesprechungen meist sehenswerter Filme, die ich auf moviepilot verfasst habe:

AIN’T THEM BODIES SAINTS (2013), David Lowery

AIN'T THEM BODIES SAINTS (2013)

Was für ein Glück, dass ich noch in diesem Film gelandet bin – mir war klar, dass ich es nicht mehr rechtzeitig zu THE ICEMAN schaffen würde, und diesen Film hatte ich nur mal so als Alternative angekreuzt, wegen Casey Affleck und Keith Carradine. Und Rooney Mara. Und Ben Foster. Und… verdammte Axt, wer ist dieser Regisseur, von dem ich noch nie gehört habe, der so eine Besetzung auf die Beine stellt?

David Lowery heißt er, ein Texaner mit Schnauzbart und rasierter Glatze, die nach einem Cowboyhut schreit. Und wie dieser Mann vor und nach dem Film auf dem Münchner Filmfest vor das Publikum tritt, passt nur im ersten Augenblick so gar nicht zu dem Äußeren. Aber kaum macht er den Mund auf, macht seine Stimme alles wett, sympathisch, informativ und inspirierend; jemand, dem man gerne zuhört, ob er von und über seine Filme spricht, oder uns durch seine Filme anspricht. Als würde er seit Jahren nichts anderes machen, dabei ist er gerade mal am Anfang seiner Karriere, und wenn er so weiter macht – und das ist exakt der Eindruck, der sich einem aufdrängt – dürfte er spätestens mit einem seiner nächsten Filme als neuer Tarantino gefeiert werden – leider. Denn Lowery kann Geschichten erzählen, denen er seinen eigenen Stempel aufdrückt, ohne sich alles zusammen klauen zu müssen. Der Plot kommt einen natürlich bekannt vor, weil man ihn schon oft gesehen hat, aber er wird so dicht und eigenständig erzählt, dass die Andeutung genügt, und man im Bilde ist. Vier Charaktere stehen im Mittelpunkt, und was Lowery mit ihnen erzählt, ist kraftvoll, beeindruckend und mitreißend – man steckt in jedem der Köpfe, kann ihre Motivationen, Gefühle und Vorgeschichte spüren, in ihren Augen lesen. Etwas, das Tarantino gerade mal in JACKY BROWN ansatzweise gelungen ist. Lowery spielt in einer ganz anderen Liga, erzählt unprätentiös, sehr nah an den Figuren, und diese Geschiche geht einem nahe, anstatt wie bei Quentin nur darum zu kreisen, wie cool er doch erzählen kann. Die Hitze von Texas (auch wenn Teile wegen Fördergeldern in Louisiana entstanden sind – aber bitte nicht weitersagen) heizt die Gemüter auf und strahlt heiß von der Leinwand auf ein Finale zu, in dem sich die aufgestaute Energie unweigerlich entladen muß. Aber wie, verrate ich nicht. In der ersten Drehbuchfassung waren alle tot, erzählte David Lowery dem Publikum. Entstanden sind viele Varianten, von vier unterschiedlichen Grundversionen. Welche es schlussendlich geworden ist, erfahrt ihr im Kino, nicht von mir.

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