Drei auf einen Streich (12) – Filmbesprechungen

Fish Tank (2009), Andrea Arnold

Kraftvoller kann man Kino kaum machen. Vom ersten Bild an wird man in eine Welt geschmissen, und man bleibt bis zum Ende an der Protagonistin kleben, taucht ein in ihren Alltag, ihre Welt. Das liegt nicht nur an der Kamera und dem viel zu selten genutzten Format 1,33 : 1 (was für eine Wohltat! Abwechslung! Jucheisasa!), das Kameramann Robbie Ryan ermöglicht Michael Fassbender auch mal aus dem Bild zu lassen, und weiter förmlich an Katie Jarvis zu kleben. Großartige Kamera, ja, aber natürlich weil die mindestens ebenbürtige Meisterschaft des Cutters Nicolas Chaudeurge im wahrsten Sinne des Wortes übersehen wird! Spitzenleistung, auf den Punkt, Hut ab. Hier ist ein Filmteam am Werk, dass seit des ersten Kurzfilms von Regisseurin Andrea Arnold zusammenarbeitet, das aufeinander eingespielt ist, einander blind vertraut. Ein Kameramann, der weiß, dass der Cutter alles aus seinem Material herausholt was geht, der bewegt sich am Set anders, und die Regisseurin kann ebenfalls viel befreiter inszenieren. Das einzige mir bekannte Team, das da noch mithalten kann, ist jenes um Jacques Audiard in Frankreich. Spitzenfilm, überhaupt nicht mein Thema, aber so einfühlsam erzählt, dass man bis zum Ende dabei bleibt, ohne jemanden in dem Film mögen zu müssen. Das muss man erstmal nachmachen.

Personal Shopper (2016), Olivier Assayas

Ja, ja, ja! Und hm, nun ja. Vor dem Film mochte ich Kristen Stewart, aber wer nach diesem nicht von ihr begeistert ist, hat einiges übersehen. Ihre Präsenz trägt den Film, mühelos, es ist ein Fest ihr dabei zuzusehen, wie sie mal kaum da ist, mal abwesend, von flüchtig über erschöpft zu genervt – das ganze Spektrum ist dabei, außer in sich selbst ruhend. Ihr Timing ist hier zum niederknien gut, sogar Lars Eidinger gerät in ihrem Bann und ist einfach mal richtig gut. Was jedoch leider nicht ganz mir ihr Schritt hält, sind Schnitt und Kamera. Am besten funktioniert beides, wenn sie Kristen die Bühne überlassen, ihr Spiel ist Rhythmus genug. Wo die Sequenzen geplant sind, wie im Haus oder dem Appartement, funktioniert es einigermaßen, auch wenn mir der Schnitt fast immer einen oder mehrere Beats zu früh kommt. Das mag ins Konzept passen, aber da es auch mal wieder perfekt fließt, fühlt es sich im Ganzen zu willkürlich an. Und eine Montagesequenz wie die auf dem Scooter durch Paris wirkt dann regelrecht lieblos zusammengeklatscht, genauso wie die überproportional eingesetzten Abblenden – gerade in Hinblick auf das fantastische Ende. So schön es ist, dass Assayas gerne mit den gleichen Leuten arbeitet, so wenig passt sich die Form hier dem Inhalt an, und ich weiß nicht, ob es der Regisseur so wollte, oder ob er sich für diesen Film besser mal andere Partner gesucht hätte. Man stelle sich bitte den gleichen Film einmal von Andrea Arnold inszeniert vor. Der würde mir wahrscheinlich noch besser gefallen haben. Licht und Bilder waren hier dennoch schön, und unterm Strich kann dem Film wenig schaden, so stark ist das Schauspiel und die Thematik. Worum es geht? Dasein, weg sein, unterwegs sein, ein Gespenst sein, Gespenster sehen, Flüchtigkeit, fest halten, los lassen, aus der Zeit fallen, neben sich stehen, Ruhelosigkeit, auf seine innere Stimme hören, (Irr)Glauben, sich selbst finden – alles durch das Medium, das Medium Film. Sicher nichts für jeden, aber wer sich gerne in einen Film fallen lässt, fällt hier wunderbar weich und kann sich mitwirbeln lassen, wie Morgendunst, durch den jemand hindurch geht.

Zwischen Himmel und Hölle (1963), Akira Kurosawa

Darum liebe ich Moviepilot: Ohne engagierte Kommentare von filmverrückten Usern wäre ich wohl nie über diesen Film von Akira Kurosawa gestolpert, der mal nicht DIE SIEBEN SAMURAI, RASHOMON oder RAN heißt, sondern eine der breit klaffenden Lücken in der umfangreichen Filmografie dieses Ausnahmeregisseurs darstellt, die viel zu selten geschlossen werden.

Ich mag jetzt auch gar nicht den Inhalt des Films nacherzählen, der mitreißend erzählt wird, sowie inhaltlich und formal spannend ist. Vor allem die Kameraarbeit hat es mir angetan, die präzisen Fahrten, und die sich permanent ändernden Figurenkonstellationen im Raum. Das ist atemberaubend, vor allem bei der Masse an auftretenden Personen. Das ist fast so, als ob Kurosawa ordnend in ein Altman-Ensemble eingegriffen hätte, nur das jede neue Konstellation etwas über die Figurenpsychologie aussagt, ohne das etwas ausgesprochen werden müsste. Die sich dabei ergebenden Bildkompositionen sind zum ausdrucken schön, und wenn dann selbst das Vorhang auf- und nach kurzem Zögern wieder zuziehen etwas erzählt, dann kann man nicht mehr wegsehen.

Kurze Zeit später ändert sich dann zwar nicht das Genre, aber die Protagonisten des Films, und das erinnerte mich dann zunehmend an ein anderes, großes filmischen Meisterwerk, nämlich M von Fritz Lang. Auch hier wird der Film mehr und mehr zu einem beiläufigen Gesellschaftsporträt, obwohl hauptsächlich ein Krimineller gejagt wird. Moralisch versagen dann aber alle Schichten, die Oberen, die Unteren, und alle dazwischen, die einen mehr, die anderen weniger, manche früher und andere später – aber am Ende hat jeder einmal seinen Spiegel vorgehalten bekommen, und damit auch wir als Zuschauer.

Freut euch auf die tollste Spiegelsonnenbrille, die beiläufigste (und damit professionellste) Beschattungssequenz, die ihr vielleicht jemals sehen werdet, brillante Gags und comic relief, eine eindrucksvolle und immer wieder überraschende Inszenierung ohne Sensationseffekt und aus allen Ecken und Winkeln Bildkompositionen zum niederknien, die in einem Schnittrhythmus aufeinanderfolgen, der keine Ruhepausen kennt. Die 140 Minuten vergehen wie im Flug und belohnt wird man mit einem der besten Filmenden, die ich jemals gesehen habe, das einen ebenso fassungs- wie sprachlos zurücklässt.

Jedenfalls bin ich jetzt auf der Suche nach weiteren DVD-Filmboxen, weil ich dermaßen auf den Geschmack gekommen bin, und die Kameraarbeit und das Raumverständnis Kurosawas einfach ihresgleichen suchen. Vielleicht macht euch ja dieses Video-Essay etwas hungriger, sollte euch mein kleines Plädoyer noch nicht gereicht haben: https://vimeo.com/122702786

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Diese Filmbesprechungen stammen, wie die bisherigen dieser Reihe auch, von dem Plattform Moviepilot, auf der ich sie zuerst veröffentlicht habe. Nach und nach werde ich die übrigen ebenfalls hier im Blog einpflegen. Wer auf dem Laufenden bleiben will, was ich gucke, der kann das auf Letterboxd verfolgen (allerdings ohne Serien – perfekt ist es eben nirgendwo).

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