Zeit für den nächsten Schwung kurzer Filmbetrachtungen, wie ich sie auf moviepilot manchmal reihenweise raushaue:
A WOMAN UNDER THE INFLUENCE (1974), John Cassavetes
Ein Film wie ein Spiegel, in dem man mehr sehen kann als einem lieb ist. Und wer geht schon ins Kino (oder wirft sich eine DVD ein) um dann nicht doch hin zu sehen? Hier ertappt man sich immer mal wieder dabei, dass man lieber wegsehen möchte, aber die Szenen sind glücklicherweise so lang, dass man doch wieder hinsieht. Zu erkennen gibt es viel, so unfaßbar viel, dass es einen sprachlos zurück lassen kann. Alles spielt sich federleicht vor unseren Augen ab, ohne dass einem die Figuren vorgeführt werden. Unsere Meinungen und Vorurteile über sie bringen wir schon selber mit, wer hier böse, gut oder normal ist, entscheidet jeder für sich, und gemeinsam ist uns, dass wir uns alle irren. Wer sich darauf einlässt, wohnt einem Exorzismus bei – und zwar an sich selbst.
“(…) will you please stand up for me?”
Spätestens an der Stelle sollte es einem jeden von uns das Herz brechen, weil wir alle zu oft nur sitzen bleiben. Im Namen dessen, was “normal” ist. Weil wir wissen was normal ist. Wer denn sonst, wenn nicht wir? Alle anderen? Der Ehemann? Die Ehefrau? Die Kinder? Die Eltern? Die Kollegen? Die Gesellschaft? Der Job? Hauptsache das Normale setzt sich am Ende durch. Nicht wahr? Doch wahr? Wer es zulässt, dem zieht dieser Film den Teppich unter den Füßen weg, und man holt sich zu Recht ein paar blaue Flecken. Das kann man nicht jeden Tag gucken, aber ab und zu haben wir es nötig, und wenn es nur dazu dient, um nicht nur wieder aufzustehen, sondern für jemanden oder etwas einzustehen.
Anstatt jetzt im Detail von Einzelheiten zu schwärmen, die aber die Wucht dieses Films vorweg nehmen könnten, kann ich nur jedem raten diesen Film zu gucken, der ein bisschen auf Entzug vom eigenen Ego gehen möchte. Cassavetes, Rowlands und Falk rücken einem den Kopf durch drei Perspektiven, nicht halsbrecherisch, sondern so sanft wie ein Chiropraktiker. Mit etwas Glück bringen sie uns so ein Stück näher zum aufrechten Gang.
TYRANNOSAUR (2011), Paddy Considine
Peter Mullan und Olivia Colman
Ich kam wegen der Kamera (und einer unwiderstehlichen Empfehlung :), blieb wegen der Darsteller, und wurde am Ende vom Drehbuch ein wenig im Stich gelassen. Manchmal wünschte ich beim Filme sehen so wie früher schneller in den Film “rein zu kommen”, abschalten zu können, von einer anderen oder bekannten Welt mitgerissen zu werden. TYRANNOSAUR wäre genau so einer, aber mir stand meine eigene berufliche Qualifikation mal wieder im Weg. Das fängt schleichend an, ein unpräziser Schnitt hier, noch einer da, aber man blinzelt es weg, weil die Bilder so großartig komponiert sind – so sehr, das manche so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass man denkt – geiles Licht! Ausdrucken bitte! Und genau solche “Halt mal, vergiß das, ich schau doch einen Film, bleib dabei!”-Momente, solcherlei ausgestellte “Schönheit” schmeißt mich aus der Geschichte. Das ist ein Drama, was ich hier sehe, da will ich nicht von schönen Dingen abgelenkt, oder künstlich auf Abstand gebracht werden. Glücklicherweise braucht es nur einen Blick auf Peter Mullan, und man ist wieder im Film. Er zog mich mit seiner überragenden Performance immer wieder weiter hinein in das Elend dieses Films. In der zweiten Hälfte gelang dies auch seiner Kollegin Olivia Colman mühelos – nur mit der kurzfristig in die Irre führenden Jesus-Nummer am Anfang fühlte ich mich rückwirkend betrogen, weil dass ist sie nicht, war sie nie. Am Anfang nehme ich ihr das ab, weil es das Drehbuch so will, und dann haut ihr Joseph in ein paar Sätzen diesen Schutz weg, und lässt sie betröppelt stehen. Was man dann über sie erfährt, passt nicht zu dieser naiven Einführung der Figur. Sorry, das glaube(!) ich nicht. Zu meiner Uni-Zeit habe ich mir eine Weile lang einen Spaß daraus gemacht, Bibelkreise zu besuchen und mit unbequemen Fragen die beständig “für andere betenden” Hardcore-Christen aus der Reserve zu locken – ein Heidenspaß (ich war jung und brauchte die Abwechslung). Wenn man aber keine Kinder bekommen kann, und so eine Hölle durchgemacht hat, wie Hannah in dem Film, dann hätte sie doch sicher schon früher hin und wieder Jesus ihre Meinung gegeigt? Solche Fragen hatte ich also noch während des Films im Kopf.
Joseph wird als leicht entflammbarer Hitzkopf mit Drang zu Kurzschlussreaktionen eingeführt, die weit über das Ziel hinaus schießen können. Diese Gefahr ist dann aber plötzlich weg. Als dieser nervende Kneipenfreund zu ihm und Hannah an den Tisch kommt, war ich darauf gefasst, dass er ihm die Fresse poliert, oder ähnliches, wenn er nicht zügig die Düse macht. Nichts dergleichen passiert, nein, er lächelt auf einmal gnädig, als hätte er soziale Kontakte und Umgang, und als könne er sich beherrschen. Also ich weiß nicht was für Kneipen ihr besucht, aber solche Josephs suchen doch geradezu den Streit, und dazu reicht ein nichtiger Anlass, den sie zur Not selbst provozieren. Manche halten sich erst gar nicht mit solchen Nebensächlichkeiten auf, sondern hauen einem gleich in die Fresse. Aber verdammt, es ist Peter Mullan, dem ich das einfach abnehme, aber meine Zweifel am Drehbuch wachsen. Muss ja nicht perfekt sein, und hey, Regisseur Paddy Considine ist erfahrener Schauspieler, und hat bislang nicht viele Drehbücher geschrieben – das kann er mit der Inszenierung wieder wett machen. Vor allem, wenn man dann auch noch Eddie Marsan vor der Kamera hat. Der leider recht platt bleibt, und sein Können nur ansatzweise zeigen kann. Sein prügelnder Ehemann hat nur zwei Extreme drauf, und etwas neutral/beherrschtes dazwischen, wenn Fremde dabei sind. Das ist ein bisschen wenig für so einen Ausnahmedarsteller, wie man ihn aus Mike Leigh Filmen kennt. Er ist das noch größere Arschloch im direkten Vergleich zu Joseph, ebenso der dämliche Nachbar mit seinem Kampfhund, oder die prügelnden Halbstarken. Da habe ich schlicht mehr erwartet, so eine Art reduzierte, zurück genommene Variante von NAKED. Die ist dieser Film aber nicht.
Wo mich der Film anfing zu verlieren, war die Montagesequenz nach der Beerdigung. Als der Kneipenkumpan noch was von den Pogues gesungen hat, war alles im grünen Bereich, ebenso bei dem Kollegen danach, aber als dann die Gitarrenklänge aus dem Off über die Montage der vielen lachenden Gesichter gelegt wurde, war es vorbei – das ist zu schön um wahr zu sein. Kitsch. Klischee. Und der Film begeht den gleichen Fehler noch weitere Male, und mein Innerstes sträubt sich gegen so etwas. Eine gebrochen, schräge a cappella Version von Gassenhauern wäre mir lieber gewesen. Reste von Kultur, gebrochene Kultur, aber eben immer noch Kultur. Aber auf keinen Fall Hochglanz! Denn schöne Bilder mit (statt gegen) schöne Musik könnte auch ein x-beliebiger Fernsehspot sein. Man schneide danach auf eine Bierflasche im close-up auf einer Theke, und blende das Label ein, fertig. Hier kann man im Schnitt Kontraste schaffen, aber so stilisiert man das Kneipengrüppchen zu alltäglichen Helden, und Joseph selbst wäre der Erste, der dem widersprechen würde, oder? Also hat der Regisseur an der Stelle was nicht kapiert, bzw. seine Distanz zu dem was er erzählt verloren. Noch ein Beispiel: Der befreundete Junge, der SPOILER !! vom Kampfhund das Gesicht verunstaltet bekommt – man erfährt es aus dem Off, und das hätte genügt. Weder hätte es die Rückblende gebraucht, noch dass sich der Junge zur Kamera umdreht. Es wäre ungleich schlimmer für den Zuschauer gewesen, sein Gesicht nicht mehr zu zeigen. Wir sehen ihn von hinten, wie er lustlos spielt – das war das perfekte Bild, man hätte sich die Maskenbildnerei gut und gerne sparen können, wie es Anne Coates im ELEFANTENMENSCH so brillant vorgemacht hat – SPOILER AUS.
Am Ende bleibe ich ein wenig enttäuscht zurück, und der Schlüsselmoment, den ich dem Film vorhalte ist, als sich Joseph bei Hannah im Geschäft versteckt und heult. Ich traue ihm durchaus Tränen und Trauer zu, das hat ja schon die Aktion mit seinem Hund bewiesen, auch seine Fähigkeit zu Zärtlichkeit, aber Tränen vor Fremden bzw. in deren Anwesenheit zeigen? Es muss ja nicht in einer Gasse zwischen zwei Mülltonnen, während es regnet und ein Zug vorbei fährt sein, aber vor einem anderen Menschen? Er hält die Gesellschaft anderer doch überhaupt nicht aus. Warum nicht vor seinem sterbenden Freund Tränen zeigen, oder vor dem Nachbarjungen, wenn er die Hütte im Garten zunächst von Innen statt von Außen zerlegt? Die Wut heraus brechen lassen, den Kampfhund-Deppen provozieren, und die Trauer von Aggression wegspülen lassen, während er sich beißen und schlagen lässt, nur um die Trauer zu betäuben? Das würde ich Joseph eher abnehmen, als hinter einem Kleiderständer zu kauern, und jemanden affektiert für sich beten zu lassen. Tut mir leid, die Szene funktioniert für mich nicht, und nicht umsonst schiebt das Drehbuch hier später eine verbalisierte Begründung nach, warum er überhaupt dorthin ging. Das ist schlampiges Drehbuchhandwerk, hätte man im Schnitt korrigieren können, aber ob dort der Regisseur das letzte Wort hatte, oder die (erfahrene TV-)Cutterin keinen Vorschlag dazu hatte, entzieht sich meiner Kenntnis.
FRANCES HA (2012), Noah Baumbach
Die 80 Minuten vergingen wie in Zeitlupe. Ich habe den Verdacht, dass der Film damit steht oder fällt, ob man einen Draht zu der Hauptfigur Frances findet, oder nicht. Wenn man dann nur ein unbeholfenes, sich selbst belügendes Mädchen im Körper einer Endzwanzigerin sieht, wie sie einem selbst desöfteren an der Uni begegnet sind, dann hat man keinen Bock mehr auf so was. Ein kurzer Lichtblick ist Adam Driver, der aber nur in GIRLS zu sehenswerter Hochform auflaufen darf, und hätte ich nicht eine (sehr gute) Folge davon direkt im Anschluss als Gegengift gesehen, wäre ich jetzt so mieß drauf, dass ich den Film genauso verrissen hätte wie OH BOY. Abgesehen vom s/w und der Ziellosigkeit gibt es leider noch eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Filmen – den Tanz. Nur dass man sich hier nicht darüber lustig macht, und man sich traut die Hauptfigur richtig unsympathisch zu machen. Leider darf sie es nicht bleiben, und so kommt es wie es kommen muss, es gibt einen versöhnlich-erwachsenen Schluss, der – ha, ha – nicht ganz ausbuchstabiert wird. Bis zu diesem zugegeben gelungenen Gag muss man so ziemlich jedes Indie-Film-Klischee ertragen, vor allem den „beiläufig“ komischen Schnitt aus Alltagsmomenten, wenn Zeit gerafft wird. Unerträglich. Erst im letzten Drittel? Viertel? Sorry, mein Zeitgefühl guckte mit angezogener Handbremse – nahm der Film etwas an Fahrt auf, und dann war er schon bieder langweilig zu Ende. Selbst Marnie in GIRLS, eine sehr ähnlich gestrickte Figur macht mehr Spaß, denn die Bücher sind um Längen ärmer, um Fallhöhe reicher, mit Abwechslung gesegnet, und damit die mit Abstand gelungenere Unterhaltung, wenn man überhaupt etwas mit diesem Genre anfangen kann.
Was bin ich froh, dass ich aus diesem Alter raus bin.
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