Zum viertem Mal nun eine Zusammenstellung von Kurzbesprechungen meist sehenswerter Filme, die ich auf moviepilot verfasst habe:
AIN’T THEM BODIES SAINTS (2013), David Lowery
Was für ein Glück, dass ich noch in diesem Film gelandet bin – mir war klar, dass ich es nicht mehr rechtzeitig zu THE ICEMAN schaffen würde, und diesen Film hatte ich nur mal so als Alternative angekreuzt, wegen Casey Affleck und Keith Carradine. Und Rooney Mara. Und Ben Foster. Und… verdammte Axt, wer ist dieser Regisseur, von dem ich noch nie gehört habe, der so eine Besetzung auf die Beine stellt?
David Lowery heißt er, ein Texaner mit Schnauzbart und rasierter Glatze, die nach einem Cowboyhut schreit. Und wie dieser Mann vor und nach dem Film auf dem Münchner Filmfest vor das Publikum tritt, passt nur im ersten Augenblick so gar nicht zu dem Äußeren. Aber kaum macht er den Mund auf, macht seine Stimme alles wett, sympathisch, informativ und inspirierend; jemand, dem man gerne zuhört, ob er von und über seine Filme spricht, oder uns durch seine Filme anspricht. Als würde er seit Jahren nichts anderes machen, dabei ist er gerade mal am Anfang seiner Karriere, und wenn er so weiter macht – und das ist exakt der Eindruck, der sich einem aufdrängt – dürfte er spätestens mit einem seiner nächsten Filme als neuer Tarantino gefeiert werden – leider. Denn Lowery kann Geschichten erzählen, denen er seinen eigenen Stempel aufdrückt, ohne sich alles zusammen klauen zu müssen. Der Plot kommt einen natürlich bekannt vor, weil man ihn schon oft gesehen hat, aber er wird so dicht und eigenständig erzählt, dass die Andeutung genügt, und man im Bilde ist. Vier Charaktere stehen im Mittelpunkt, und was Lowery mit ihnen erzählt, ist kraftvoll, beeindruckend und mitreißend – man steckt in jedem der Köpfe, kann ihre Motivationen, Gefühle und Vorgeschichte spüren, in ihren Augen lesen. Etwas, das Tarantino gerade mal in JACKY BROWN ansatzweise gelungen ist. Lowery spielt in einer ganz anderen Liga, erzählt unprätentiös, sehr nah an den Figuren, und diese Geschiche geht einem nahe, anstatt wie bei Quentin nur darum zu kreisen, wie cool er doch erzählen kann. Die Hitze von Texas (auch wenn Teile wegen Fördergeldern in Louisiana entstanden sind – aber bitte nicht weitersagen) heizt die Gemüter auf und strahlt heiß von der Leinwand auf ein Finale zu, in dem sich die aufgestaute Energie unweigerlich entladen muß. Aber wie, verrate ich nicht. In der ersten Drehbuchfassung waren alle tot, erzählte David Lowery dem Publikum. Entstanden sind viele Varianten, von vier unterschiedlichen Grundversionen. Welche es schlussendlich geworden ist, erfahrt ihr im Kino, nicht von mir.
Was AIN’T THEM BODIES SAINTS meiner Meinung nach großartig macht ist, dass er nicht alles auserzählt, sondern sich nur auf die Momente konzentriert, die ihm wichtig sind, und das ist die eben mal nicht nur behauptete ewige Liebe zwischen Bob und Ruth. Was hier manchmal nur in den Augen aufblitzt, oder hinter ihnen verborgen bleibt macht das Spiel der Darsteller so prickelnd. Der Regisseur verlässt sich darauf, dass man als Zuschauer die Leerstellen (wie den Ausbruch aus dem Gefängnis, die Vorgeschichte der übers Ohr gehauen ex-Partner, die auftauchen, etc.) selbst füllt, weil man sie schon hundert Mal gesehen hat. Das sich der angeschossene Sheriff von damals inzwischen in die Schützin verliebt hat und tapfer um ihre Aufmerksamkeit kämpft, ist wunderbar sanft inszeniert, und es wirkt nie konstruiert, sondern nah an den Figuren.
AIN’T THEM BODIES SAINTS ist ein Western ebenso wie ein Gangsterfilm, Gefängnisausbruchs- und Auf-der-Flucht-Streifen sowie Liebesfilm. Irgendwann ging mir nur die Musik etwas auf die Nerven, die zwar für sich genommen hervorragend ist (besonders die zwei/drei Stücke mit Body-Percussion und „Geklatsche“), aber keine der Szenen hätte sie überhaupt benötigt, so stark sind sie gespielt und inszeniert. Den Regisseur darf man getrost im Auge behalten, und eine lange Karriere wünschen.
PS: Meine Fresse, ist Keith Carradine alt geworden. Ich will sofort noch ein halbes Dutzend Filme mit dem Mann sehen! Man schreibe ihm weitere ebenbürtige Altersrolle auf den runzlingen Leib! Na los!
Hier noch ein toller Artikel über David Lowery.
MY DOG KILLER (2013), Mira Fornay
Die Kartenabreißdame in der Münchner Freiheit war vorhin wohl abgelenkt, und hat mich ohne mein Wissen in den falschen Saal geschickt. Statt in THIS IS MARTIN BONNER fand ich mich nämlich zu meiner Überraschung in MOJ PES KILLER (2013) von Mira Fornay, einem slovakischen Film wieder, der in den 90er Jahren in der Grenzregion zur Tschechei im Spannungsfeld zwischen Skinheads, Roma, und Armut spielt. Die Regisseurin war anwesend, und ich hab es nicht übers Herz gebracht meine Sachen zu packen, und vor ihren Augen wie der letzte Idiot zur Tür zu spurten. Ich konnte ja wenigstens warten, bis es dunkel im Saal wurde! Dann habe ich mir aber gesagt – gib dem Film eine Chance, du glaubst doch eh nicht an Zufälle. Erst recht nicht, nachdem das erste Bild ewig lang stehen blieb. Das zweite ebenfalls. Dann kam die Titeltafel und danach springt der titelgebende Kampfhund Zähne fletschend an sein Trainigsseil, in das er sich verbeißt, was sich als der Beginn einer beeindruckenden Plansequenz herausstellen wird. Ab da vermisste ich zwar das an der Theke zu allem Überfluss auch noch ausgegangene Augustiner um so mehr, aber der Film entschädigte mich mit einer unaufgeregten Präzision, die derart angenehm und ehrlich war, dass ich jetzt nicht umhin komme, ihn an falscher Stelle zu besprechen, da er keinen eigenen Eintrag auf moviepilot hat.
In wunderbaren Bildern, auf 35mm gedreht, werden die Geschehnisse eines Tages geschildert, wobei aufmerksame Beobachter bemerken werden, dass mitnichten am Ende ein neuer Tag anbricht. Das ist nur ein cleverer Schlusstrich, in einem Film der zu jedem Zeitpunkt genau weiß, was er tut. Er zeichnet ein präzises Bild, und belohnt sein aufmerksames Publikum auf Schritt und Tritt, mit einem sanften Humor, Menschlichkeit und Wärme. Die Laiendaseller sind handverlesen, und zum Teil schlicht echte Skinheads, die im Laufe des Drehs ihre Vorurteilen „Zigeunern“ gegenüber revidieren mussten, und zur Premiere mit ihnen im selben Saal sitzen konnten, was zu Beginn der Deharbeiten laut Regisseurin schlicht unmöglich gewesen wäre. Sie hätten sogar einen subtilen Humor einander gegenüber entwickelt, und Humor sei wohl der Beginn einer jeden Veränderung. So hat dieser Film tatsächlich etwas bewirkt, und wenn es zunächst nur die fünf Darsteller sind – das macht Mut, mehr noch: Hoffnung. Das hätte ich mir von dem Sundance-Publikums-Liebling nicht mal erwartet ;)
Fazit: MY DOG KILLER ist Ein toller Film, eine glatte 8, wenn nicht sogar mehr. Dazu sollte man sich aber an einer Bierflasche festhalten können, man wird sie bzw. deren Inhalt dringend brauchen. Hier noch der Trailer.
THIS IS MARTIN BONNER (2013), Chad Hartigan
Na also, im zweiten Anlauf saß ich dann ja doch noch im richtigen Film. Einem waschechten, amerikanischen Indepentend Film, mit allem, was wir an ihm so lieben: unscharfe Einstellungen, die man trotzdem nehmem musste, weil der Focus Puller bei allen Takes ein paar Zentimeter daneben lag, die immer gleiche Drehorte, Diner, Motel, nahezu leerstehende Wohnungen, Büro und Wartezimmer; lange Szenen, entweder getragen von ausgezeichneten Dialogen, oder ebenso langen Szenen in denen nichts passiert, außer das die überzeugenden Darsteller in tristen „Americana“ herum stehen, äußerlich oder innerlich frierend – gerne auch beides gleichzeitig. Dann verteilt man noch eine handvoll skuriler bzw. „geheimnisvoller“ Szenen, ein Fußballspiel einer Damenmannschaft zum Beipiel, oder eine unbeobachtete, private Tanzeinlage. Dann werden Dinge angedeutet, ein paar existentielle Fragen und Gemeinsamkeiten in den Raum gestellt, und dann hört der Film irgendwo ziemlich willkürlich auf. Mein Gott, ich hab echt keinen Bock mehr auf dieses Schema vom Reißbrett – kein Wunder, dass der den Sundance-Publikumspreis bekommen hat, den hat es dort so oder ähnlich schon x-mal gesehen. Bemerkenswert sind an dem Film die Darsteller, und vielleicht noch dass er über Kickstarter (teil-?)finanziert wurde. Ist das die Zukunft des Kinos? In den Blockbusterstreifen gibt es minutenlange Abspänne der Special-Effects Handwerker, und im Indie-Kino entsprechend Texttafeln mit allen Crowdfunding-Spendern? Beim nächsten Mal wäre ich schon dankbar, wenn sich Chad Hartigan beim nächsten Film auch einen dritten Akt finanzieren, oder wenigstens einfallen lässt. Hier baut er langsam – und nicht unsympathisch – Interesse an seinen Hauptfiguren auf, nur um einem dann derart unvermittlelt den Abspann um die Ohren zu hauen, wie ich es noch nicht erlebt habe. Und das Filmplakat ist großartig:
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