Augenblicke – 02
Einen Untersuchungstermin später gucke ich so aus der Wäsche.
Auf dem Gelände des Meteorologischen Instituts in Warschau liegt eine auf die Augenheilkunde spezialisierte Klinik, deren Patient ich heute war, um mich eines Netzhautscans am linken Auge zu unterziehen. Zunächst gab es eine flotte Voruntersuchung an zwei Apparaten, bei denen man wieder das Kinn aufstützte und die Stirn anlegte, um dann durch eine Linse ins Innere zu schauen. Der Erste hat wohl mein Auge vermessen, während ich auf eine zum Horizont führende Darstellung einer Straße blickte, an deren Ende ein Heißluftballon auf der Fahrbahn stand. Ich vermute mal, dass es sich um einen Wetterballon handelte, sonst müßte sich die Klinik wohl ein anderes Grundstück suchen. Beim zweiten Apparat mußte man ein grünes Laserlicht fixieren, und dann pustete einem urplötzlich ein Windstoß ins Auge, der reflexartiges Blinzeln und Verwünschungen auslöste. Und ich dachte noch, bei Ballonfahrten steht der Wind still. Pustekuchen. Die Reaktionszeit darauf registrierte jedenfalls ein kleiner roter Laser. Je Auge zwei mal. In Guantanamo haben sie vermutlich auch solche Kisten stehen…
Dann gab’s schnell noch den Klassiker – Buchstabensalat von der gegenüberliegenden Wand ablesen, alles Bestens, und zum Abschluß Augentropfen ins Linke. Brennt ein bisschen. Ach, was sie nicht sagen. Während ich dann auf die eigentliche Untersuchung wartete, wurde ich darauf hin gewiesen, doch jetzt mit dem Auge bitte nichts zu lesen. Das fand ich sehr amüsant. Warum denn nicht mit Links lesen? Wenn der Staat schon auf dem rechten Auge blind ist, muß man doch wenigstens Links lesen dürfen. Am liebsten lese ich mit beiden Augen, und denke mir dann meinen Teil, mit beiden Gehirnhälften. Eigentlich sollte ich nur vom Fokussieren im Nahbereich absehen, glaube ich.
Der Scan selber war dann wieder unspektakulär, wieder in so einen Apparat schauen, wobei mir erst jetzt auffiel, dass die bei der Kinnstütze Abreißservietten hatten, von denen aus Hygienegründen pro Patient und Kinn je Eine abgerissen wurde. Warum hingegen die Stirn eine weniger hygienische Behandlung erfährt, bleibt mir rätselhaft. Neigen Augenpatienten mehr zum Sabbern als zum Stirn runzeln?
In diesem Apparat fixiert man ein weißes Kreuz. Wenn die Hintergrundfarbe von Blau nach Rot wechselt, beginnt der eigentliche Scan, bei dem ein Laser schnell oszilliert, wie ein Strich aussieht, und die Netzhaut abtastet. Nur jenen Teil übrigens, der für das scharfe Sehen zuständig ist. Der Arzt machte das übrigens bei beiden Augen, und bestätigte mir, das auch das andere absolut gesund sei. Und wozu brauchte es dann die dämlichen Tropfen? Ich fühle mich jetzt, Stunden später, immer noch wie besoffen. Dabei bemühe ich mich, möglichst nichts von dem zu lesen, was ich schreibe. Jedenfalls nicht mit dem bösen Linken.
Das Ergebnis eines Netzhautscans sieht dann so aus:
Beachtenswert ist auch das Vermasseln meines Vornamens – normalerweise ist ja mein Nachname davon betroffen…
Die „Delle“ in der Bildmitte ist normal, und auch sonst konnte der Arzt nichts pathologisches auf meiner Netzhaut finden, ganz im Gegenteil: er meinte man könne das in einem Anatomie-Lexikon als Beispielbild eines gesunden Menschen drucken. Ich wäre wohl überzeugter gewesen, wenn ich ihn dabei scharf gesehen hätte. Dann setzte ich eine Sonnenbrille auf und machte mich auf den Weg nach Hause. Ziemlich erleichtert einerseits, weil die Diagnose (es liegen keine pathologischen anatomischen Erscheinungen vor) positiv ausgefallen ist, und zunehmend bestärkt in der Annahme, dass sich mein Hirn aktiv in meine Berufsausübung einmischt andererseits.
Zeit den Wetterballon steigen zu lassen, um zu gucken von wo morgen der Wind weht.