Augenblicke – 01
Gestern war ich beim ersten von vier Arztterminen, die meinem Augenproblem auf den Grund gehen sollen, der Gesichtsfelduntersuchung:
Bild anklicken um das Ergebnis zu sehen: 81 Treffer von 81 Möglichen, yeah!
Man bekommt eine Augenklappe für das andere Auge und einen Drücker für die Reaktionshand der Wahl ausgehändigt, stützt Kinn und Stirn in dafür vorgesehenen Mulden ab, fixiert eine kleine Lampe unter der ein paar schwarze Punkte ein Kreuz bilden, und los geht’s. Wenn dann an beliebiger Stelle im Gesichtsfeld kurz ein stecknadelkopfgroßes Lämpchen aufleuchtet, bestätigt man dies durch kurzes Drücken des Knopfes. Ohne mir dessen gleich bewußt zu werden, machte ich eher einen Test meiner Reaktionszeit, und konnte beim Test des linken Auges meine Zeit für das Rechte um ein paar Sekunden unterbieten. Unter drei Minuten, Baby. Man darf Jungs einfach keine Knöpfe in die Hand drücken…
Dann quasselte der Arzt auch ständig was hinter meinem Rücken während der Untersuchung, dabei meinte er noch kurz davor, ich solle mich nur ja gut konzentrieren. Wie ein Trainer, der einen darauf hinweist, dass vom eigenen Einsatz Sieg oder Niederlage des Teams abhängen, man aber einfach ganz locker bleiben solle. Wenn man schon beim ersten Patienten des Tages so viel Temperament an den Tag legt wie dieser Kollege, dann hätte ich den Apparat lieber von einer Krankenschwester bedient wissen wollen. Die Lächeln nämlich wenigstens, und da man die Kiste sowieso nur einschalten muss, und danach alles vollautomatisch abläuft, könnte sich der Arzt doch in der Zwischenzeit mit einem Kaffee gute Laune antrinken.
Erst kam das rechte Auge dran, dann mein Linkes, das mit dem kleinen grauen Vogel. Wobei sich ja erst noch herausstellt, ob der tatsächlich im Auge, oder eher im Hirn sitzt. So oder so, es ist mehr oder weniger amtlich, dass ich einen Vogel habe. Mir ist es schwer gefallen bei dem Test immer ein Auge zu zu (Tschu tschuuu! Ich bin eine Lokomotiiiiive!) drücken, was vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre, aber es vereinfachte die Konzentration auf die Lampe.
Diesen Test habe ich also bestanden, und dem Ausdruck kann man entnehmen, dass er offenbar für Piloten der LOT entwickelt wurde, was mir natürlich schmeichelt. Das gehört wohl in die Kategorie Ausschlussverfahren. Mein Gesichtsfeld ist also im medizinischen Sinne nicht eingeschränkt.
Dem kann ich nur vehement widersprechen. Egal wohin ich sehe, mir ist ständig etwas im Weg. Häuser, Verkehrsmittel, Mitmensch und Natur. Wann kann man denn in die Weite blicken und sehen, wer morgen zu Besuch kommt? Im Arbeitsleben ist es noch schlimmer, wir gucken mehr oder weniger alle in die Röhre. Wer arbeitet denn heute nicht am Rechner? Oder knetet kleine Brötchen? Nicht jeder kann im Ausguck auf einem Piratenschiff arbeiten, oder eben als Pilot, aber ich erkenne hier den Kern eines gesellschaftlichen Problems, die Kurzsichtigkeit. Die Geschäftsquartalsergebnisorientiertheit.
Im Kontrast dazu: Weitsichtigkeit. Ist das nicht ein wunderschönes Wort, bereinigt von seinem medizinischen Kontext? Wer genießt nicht den selten gewordenen Blick in die Weite, eine 100m entfernte Baumkrone, die sich sanft im Wind wiegt, dieses scharf stellen auf etwas, dass sich nicht in nächster Nähe zu einem befindet, dieses Sitzen am Strand, mit dem Blick übers Meer, auf den Horizont gerichtet, das Rauschen der Brandung in den Ohren.
Die Kabine für den Hörtest stand übrigens gleich Links von dem Apparat für die Gesichtsfelduntersuchung.